«Mein Ideal ist, das Tragen möglichst weniger Kleider zur Gewohnheit zu machen.»

Der dänische Sportler und Gymnastiklehrer Jørgen Peter Müller (1866-1938) verzeich­nete mit seinem 1904 erschienen Gymnastik­lehrbuch «Mein System. 15 Minuten täglicher Arbeit für die Gesundheit» einen durchschla­genden Erfolg. Der Titel wurde in 24 Spra­chen übersetzt und erreichte auf Deutsch allein bis 1925 eine Auflage von 400’000 Exemplaren. Dieser Bestseller befindet sich leider nicht im Bestand der Museumsgesell­schaft, dafür aber einer der Folgetitel: das 1907 auf Deutsch erschienene Werk «Hygie­nische Winke».

Schon bei Müllers «System» stand die Stär­kung der allgemeinen Gesundheit durch Fit­ness und Beweglichkeit im Vordergrund und nicht der Aufbau von Muskelkraft. «Ich fühle mich dankbar und glücklich in dem Bewusstsein, dass Tausende meiner Mitmenschen jetzt besser und glücklicher leben als früher, und dass viel Krankheit und Sorge durch meine Bestrebungen vermieden worden ist», schreibt er in der Vorrede zu «Hygienische Winke». In diesem Büchlein zeigt sich der gesundheitliche Fokus noch stärker. Sämtliche hier versammelten Abhandlungen thema­tisieren gesundheitliche Fragen, welche nach der Meinung des Autors in seinem ersten Werk zu kurz gekommen sind.

Im ersten Kapitel des Buches, «Der Lufthut», macht sich Müller, gegen herrschende Sitte und Gebrauch, für den Verzicht auf jegliche Kopfbede­ckung stark: «Selbst wenn man einen Preis aussetzen wollte, könnte man zum Ausbrüten der Mikroben, deren Lieblingstätigkeit die Zerstörung der Haarwurzeln ist, kaum ein besseres Treibhaus oder ein günstigeres Mist­beet erfinden, als einen dichten Filzhut und eine schmierige Mütze. […] Das Ausfallen der Haare kann auch andere Ursachen haben, […] in den allermeisten Fällen aber ist die Kopfbedeckung die Ursache. […] Da Da­menhüte in der Regel viel luftiger sind als Herrenhüte und nur einen klei­nen Teil der Haare bedecken, ist Kahlköpfigkeit bei Frauen viel seltener als bei Männern.» Der Verfasser selbst hat mit dem Tragen eines «Luft­hutes» zwar langjährige Erfahrung, setzt aber rücksichtsvoll immer einen Hut auf, wenn er Kopenhagen besucht, um die Bewohner der Stadt nicht zu erschrecken.

Als weiteres Mittel zur Verhütung der Kahlköpfigkeit empfiehlt Müller das tägliche Bad (Luft oder Wasser). Und zwar nicht nur des Gesichts, son­dern des ganzen Körpers. Wird die Haut nämlich nicht gereinigt und ge­pflegt, verstopfen die Poren und der Schweiss sucht sich den leichtesten Weg hinaus: über den Kopf oder die Füsse, wo sich die grössten Schweissporen befinden. Wählt dieser giftige Schweiss den Weg nach oben und ist ihm der Ausweg durch einen Hut versperrt, werden die Haare zerstört; wählt er den Weg nach unten, entsteht schrecklicher Fuss­schweiss (mit dem Vorteil, dass man der Kahlköpfigkeit entgeht).

Ausführlich widerlegt der Autor sämtlichen angeblichen Nutzen einer Kopfbedeckung, sei es als Sonnen- oder Regenschutz, zum Wärmen, Grüssen oder Protzen – einzig für den Feuerwehrhelm macht er eine Aus­nahme.

Das Buch enthält weitere, ebenso faszinierende Kapitel mit so vielver­sprechenden Titeln wie: «Luftsocken und Luftnachthemd», «Welches ist das normale Lebensalter des Menschen?»[1], «Über die Abhärtung der Kin­der», «Hautgymnastik als Schönheitsmittel», «Die Kunst zu essen», «Bauchmuskeln» oder «Wollene Unterkleider».

 

Müller, J.P.: Hygienische Winke, Leipzig, K.F. Koehler 1907. Signatur G 2560.

 

[1]«Wenn der Mensch von seiner Geburt an unter idealen Verhältnissen und in jeder Beziehung vollkommen hygienisch lebte, würde er sicherlich nicht altersschwach werden, bevor er sich dem Alter von 150 Jahren näherte.»

 

Mirjam Schreiber

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J.P. Müller